Viktor Czerny

Ein führendes Mitglied des Tiroler Widerstandes war der am 24.6.1896 in Prerau in Mähren geborene Forstmeister des Forstamtes I in Ried in Tirol, Dipl. Ing. Viktor Czerny.

Im letzten Kriegsjahr gründete Viktor Czerny, gemeinsam mit anderen österreichisch gesinnten Männern aus Ried und den umliegenden Gemeinden, eine Freiheitsbewegung, an deren Spitze Oberlandesgerichtsrat Emil Preisenhammer und der Bezirksoberleutnant der Gendarmerie, Josef Hohenegger, standen. Ziel der Bewegung war es, „Widerstand gegen das herrschende Naziregime… und eine Invasion deutscher Truppen zu aktivieren und die Übernahme der Macht durch die österreichische Freiheitsbewegung mit bewaffneter Hand zu erzwingen“ (1).

Als Führer der Rieder Standschützen meinte Viktor Czerny, die Verwirklichung dieser Ziele am ehesten durch Einwirkung auf die Tiroler Standschützen des Rieder Bezirkes erreichen zu können. Eine der ersten Aktionen der Freiheitsbewegung war es dann auch, die Standschützen zu überzeugen, ihren Einrückungsbefehlen nicht nachzukommen. Die für den 24. April 1945 festgesetzte Einziehung der Rekruten wurde aus diesem Grund von den Standschützen zunächst boykottiert. Erst nach stundenlangen Verhandlungen und massiven Drohungen seitens der NSDAP Landeck, sowohl gegen die Befehlsverweigerer als auch gegen deren Angehörige mit Gewalt vorzugehen, fügten sich die Tiroler. Und doch war hiermit ihr Widerstandsgeist noch nicht gebrochen – viele desertierten noch vor dem Eintreffen bei ihren Truppenkörpern und setzten sich wiederum in ihre Heimat ab.

Eine weitere erfolgreiche Widerstandsaktion der Gruppe um Viktor Czerny ereignete sich nur wenige Tage später. Am 27. April 1945 erreichten kleinere Truppenverbände der Kraftfahrabteilung 6. Kp 5/63 die Gemeinde Ried. Diese Abteilung war mit dem Transport von Proviant von den italienischen Kriegsschauplätzen zu den deutschen Verteidigungslinien im Norden Tirols beauftragt. Die Widerstandsbewegung konnte den Kommandanten der Abteilung, Stabsfeldwebel Rechlin aus Berlin, überreden, diesem Befehl nicht mehr nachzukommen und die Verpflegung der örtlichen Bevölkerung und dem Lazarett zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig löste sich die Abteilung auf. Die Mannschaft der Abteilung hielt sich bis zum Ende des Krieges fahnenflüchtig in und um Ried versteckt.

Für den 1. Mai 1945 plante Viktor Czerny schließlich den Beginn der „Aktion zur Machtübernahme durch die österreichische Freiheitsbewegung“ (2). Am Abend dieses Tages, um 21 Uhr, fand deshalb im Gasthaus „Linde“ eine Zusammenkunft der Mitglieder der Rieder Widerstandsbewegung statt, bei der die nächsten Schritte beraten und festgelegt wurden. Die Zusammenkunft begann mit der Darlegung des Programms durch Czerny. Dieses Programm wurde niedergeschrieben und den übrigen Mitgliedern zur Begutachtung und Abstimmung vorgelegt.

Programm – 1. Mai 1945, 21 h Abend

  1. Alle Männer zum unbedingten Schweigen gegen Jedermann verpflichten, vor allem gegen die Frauen.
  2. Die Männer pünktlich 20 h versammeln, verpflichten auf das „Freie Österreich“.
  3. Gruppen einteilen: 1 Anführer, 4 Mann. Verhaftung üben: schnell und energisch.
  4. Ortsausschuss bilden: 1 Vorsitzender, 5 Männer
  5. In Schutzhaft genommen werden: Ortsgruppenleiter, Bürgermeister, Parteifunktionäre. Einbringen auf das Gericht in Ried.
  6. Gendarmerie verpflichten auf das „Freie Österreich“.
  7. Alles in Ruhe und Ordnung durchführen. Waffengebrauch nur bei Gegenwehr, dann aber sofort.
  8. Für heute ist die gesamte Kapitulation zu erwarten, damit ist die Wehrmacht und jeder seines Eides entbunden, die Partei ist schon jetzt vollkommen zerfallen und zeigt nicht die geringste Macht. Die rasche Durchführung dieser Aktion sichert uns für Morgen ein geordnetes Leben in der Gemeinde, die gereinigt ist von den Schandkerlen der Partei.
  9. Meldungen über den Ablauf der Aktion ab 21 h 30 an das Postamt Ried. Namen der Schutzhäftlinge sofort durchgeben, diese werden von den weiteren Gemeinden mit Lastwagen abgeholt. Doppelposten in jedes Postamt Punkt 21 h.
  10. Wenn eine Gemeinde zu schwach zur Durchführung der Aktion ist, dann um 21 h in aller Stille mit allen verfügbaren Leuten das Postamt besetzen und Ried anrufen. Unterstützung wird geschickt (3).

Auf der Tagesordnung der Zusammenkunft am 1. Mai 1945 stand weiters die Frage, wie die Sprengungen der Pontlatz- und der Prutzenbrücke, sowie der Reichsbrücke bei Steinbrücke zu verhindern wäre. Diese Sprengungen waren von der Kreisleitung Landeck für die Nacht vom 1. auf den 2. Mai vorgesehen. Als Führer der Rieder Standschützen oblag es nun Czerny, die Zerstörung der Brücken zu verhindern. Zum Schutz dieser Objekte wurden deshalb für die folgenden 24 Stunden Patrouillen zu je sechs Mann zusammengestellt, die für die Bewachung der Brücken zu sorgen hatten. Weitere zwölf Mann waren für die Bewachung eines aufgelassenen Sprengmittellagers vorgesehen.

Unglücklicherweise veränderte sich aber ab diesem Tag die Situation in Ried – die für die Aktion günstige Lage verschlechterte sich zusehends. Denn auf dem Rückzug befindliche deutsche Soldaten, darunter auch starke Einheiten der Kriegsmarine und verschiedene hohe Kommandostellen hatten nun Quartier in Ried bezogen. Aus diesem Grund musste das Programm für die Machtübernahme durch die Freiheitsbewegung abgeändert werden. Die Aktion sollte aber dennoch stattfinden. Lediglich Punkt 5 des Programms, die „In-Schutzhaft-Nahme“ der Rieder Parteigrößen, sollte vorläufig nicht durchgeführt werden.
Inzwischen hatte aber auch die Parteileitung von Ried und Landeck Kenntnis von der Widerstandsbewegung erlangt und beschloss, „den Führer der Bewegung zu beseitigen“ (4).
Am 2. Mai erfuhr der Oberleutnant der Gendarmerie, Josef Hohenegger von seiner Tochter, Anna Hohenegger, dass die Verhaftung Czernys bevorstünde. Hohenegger eilte daraufhin zu Czerny, um ihn zu warnen. Dieser zeigte sich jedoch von der Gefahr unberührt: „Ich habe nichts verbrochen und beabsichtige auch nichts Schlechtes, das, was ich tue, ist einzig und allein nur zum Wohle des Volkes. Ich fürchte daher nichts.“ (5).
Noch am selben Abend erschienen im Forsthaus Uniformierte, um Czerny zu verhaften. Czerny hielt sich zu diesem Zeitpunkt im ersten Stockwerk des Hauses auf, im Zimmer seiner im Wochenbett liegenden Frau. In einem Interview vom 4. Februar 1988 erzählt Frau Czerny, was an jenem Abend vor sich ging. „…mein Mann hat sich lesend in meinem Zimmer beschäftigt, und da kam meine Nichte herein und sagte. ‚Onkel Viktor, da unten ist ein Soldat, der möchte dich sprechen!‘ Und mein Mann hat sich also hinunterbegeben. Ich habe ihn danach nicht mehr zu Gesicht bekommen“ (6).

Doch Viktor Czerny stellte sich den Soldaten nicht, denn kurze Zeit später hat es „draußen an der Wohnungstür geklopft, und es wurde gerufen: ‚Forstrat Czerny soll herauskommen!‘ (6). Czerny war währenddessen in das Zimmer seines Schwagers geflüchtet und versuchte durch das Fenster zu entkommen. „Er hat wohl gemerkt, dass unten Leute stehen, und dann ist mein Mann … im Finsteren dann rasch durch mein Zimmer auf den Balkon, und da sind auch schon die Männer in meine Wohnstube eingedrungen und haben sich an der Verandatür und an meinem Bett und an der Tür ins andere Zimmer aufgestellt. Ich habe einen Schuss gehört und habe furchtbar geschrien: ‚Mein Mann ist doch kein Verbrecher, was wollen Sie!‘, und da sagte mir einer: ‚Es wird in der Nacht noch viel Blut fließen, die Helfer sind schon in der Nähe.‘ …2 Leute haben blind in den Garten hinaus geschossen, die Patronen lagen in großer Zahl im Zimmer und an der Verandatür“ (6). Danach wurde Frau Hedwig Prinz, die Schwester des Forstmeisters, von den Soldaten aufgefordert, ihren Bruder zu suchen. Erst als sie erfolglos zurückkehrte, machten sich die Soldaten daran, Viktor Czerny aufzuspüren. Man fand ihn im Garten liegend auf. Einer der Uniformierten, Hauptfeldwebel Schmölder – gegen ihn wurde nach Kriegsende Anklage wegen Mordes erhoben – gebraucht abermals die Waffe und schoss vom Balkon aus auf den wehrlos am Boden liegenden Mann (7). Czerny erlag seinen Schussverletzungen. Am folgenden Tag, den 3. Mai 1945, wurde die Leiche Viktor Czernys zur Kreisleitung nach Landeck geschafft. Dort erfolgte die Anweisung, Czerny nach Zams zu bringen und ihn auf dem dortigen Friedhof zu beerdigen. Frau Czerny erfuhr erst am 6. Mai 1945, nach der Befreiung Tirols, vom Tod ihres Gatten. Viktor Czerny hinterließ seine Frau und zwei minderjährige Kinder.
Noch in derselben Nacht wurden weitere Mitglieder der Widerstandsbewegung Ried verhaftet und einem längeren Verhör unterzogen. Obwohl sie wieder freigelassen wurden, fürchteten diese Männer eine neuerliche Festnahme. Sie hielten sich versteckt und erwarteten so die in nur wenigen Tagen, am 6. Mai 1945, folgende Befreiung Tirols durch die amerikanische Armee.

Viktor Czerny wurde im Alter von nur 49 Jahren von Fanatikern ermordet. Sein Tod zeigt uns nicht nur die enorme Brutalität eines terroristischen Regimes sondern auch die oftmals todbringende Grausamkeit, zu der Anhänger und Gewährsleute eines terroristischen Staates fähig sind. Denn auch als der Zusammenbruch des NS-Regimes unmittelbar bevorstand und auch die fanatischsten Nationalsozialisten nicht mehr an einen deutschen Sieg glauben konnten, nahmen die Verfolgungen kein Ende. Mit größter Brutalität und unverminderter Härte ging man gegen vermeintliche Feinde des deutschen Volkes vor, auch dann noch, als täglich mit der Befreiung Tirols durch die amerikanische Armee zu rechnen war.

Viktor Czernys Tod verzögerte den Untergang des „Tausendjährigen Reiches“ und die Befreiung Österreichs durch die Alliierten nicht um einen einzigen Tag. Welches Ziel hatten die Soldaten also vor Augen, als sie auf Czerny schossen, als Hauptfeldwebel Schmölder Forstmeister Czerny ermordete? Wenn es nicht aus reiner Lust am Töten geschehen ist, dann scheint mir nur ein Grund für den Mord an Viktor Czerny plausibel zu sein, der Hass jenen gegenüber, die an der Bekämpfung Hitlers und seiner nationalsozialistischen Idee mitgewirkt haben.

Quellenverzeichnis

  1. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Zl. 12.986, Bericht von Amtsgerichtsrat Preisenhammer vom 7.4.1946
  2. ibidem
  3. ibidem
  4. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Zl. 12.986, Auszug aus der Gemeindechronik Ried in Tirol, vom 20.5.1945
  5. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Zl. 12.986, Bericht vom Abteilungsleiter der Gendarmerie Oberlt. Hohenegger
  6. Interview von Gerald Nitsch mit Frau Czerny vom 4. Februar 1988
  7. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Zl. 12.986, Niederschrift der Aussage von Hedwig Prinz.

Ergänzung von Hubert Kammerlander:

Czerny, der bereits im Ersten Weltkrieg gedient hatte, wurde nach seinen Kriegseinsätzen in Norwegen und Russland wegen schwerer gesundheitlicher Probleme von der Wehrmacht im Juni 1944 beurlaubt. Die Stelle als Leiter des Forstamtes Ried I hatte inzwischen Anton Sieber übernommen, der ab 1942 auch Ortsgruppenleiter der NSDAP war. Nach seiner Rückkehr sah sich Czerny mit Intrigen und Verleumdungen Siebers konfrontiert, der offenbar hoffte, auf diese Weise Czerny zu verdrängen – was Sieber im Oktober 1946 vor Gericht abstritt. Dort mussten sich neben Forstmeister Sieber drei weitere Männer wegen des Verbrechens der Denunziation bzw. des Mordes an Viktor Czerny verantworten. Dessen Tod blieb jedoch ungesühnt. (1) Gisela Hormayr, „Die Zukunft wird unser Sterben einmal anders beleuchten“, Seiten 223-225, Studienverlag, 2015.

Zur Erinnerung an Dipl. Ing. Viktor Czerny ist auch eine Gedenktafel an der Friedhofsmauer von Ried im Oberinntal angebracht

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