Karl Mayr

Dass nicht nur aktiver Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime lebensgefährlich war, sondern auch passive Widerstandsaktionen tödlich enden konnten, zeigt das Schicksal des Tiroler Landesforstwartes Karl Mayr.

Karl Mayr wurde am 11. März 1884 in Innsbruck/Wilten geboren. Er besuchte das Gymnasium und anschließend die Forstschule. Danach wurde er Forstwart des Bezirkes Steinach am Brenner. Mit seiner ersten Frau hatte er einen Sohn namens Hubert, bei der Geburt des zweiten Kindes starb sie. Karl Mayr heiratete nochmals. 1921 übersiedelte er mit seiner Familie nach Baumkirchen und übernahm die Stelle eines Landesforstwartes im Forstbezirk Hall in Tirol.

Schon 1939 wurde die örtliche NSDAP auf Mayr aufmerksam. Der Ortsgruppenleiter von Baumkirchen stellte ihn wiederholt zur Rede, warum er seine sieben Kinder nicht an der Hitler-Jugend (HJ) teilnehmen lasse. Mayr war als überzeugter Katholik strikt dagegen, dass seine Kinder einer nationalsozialistischen Vereinigung beitraten. Auch durch die persönliche Intervention des Ortsgruppenleiters ließ sich Mayr von seiner Überzeugung nicht abbringen. Die Baumkirchener NS-Führung war nicht gewillt, in dieser Sache klein beizugeben und drohte Mayr nun unverhohlen mit der Weiterleitung des Falles an die Kreisleitung (1).

Im Herbst 1939 wurde der „Fall Mayr“ dem Kreisleiter der NSDAP, Dr. Primbs, zur Kenntnis gebracht. Primbs schien die Angelegenheit nun selbst regeln zu wollen, denn am 11. Oktober 1939 besuchte er gemeinsam mit Ortsgruppenleiter Feichtner das Gasthaus „Windegg“ in Tulfes. Dort war auch Forstwart Karl Mayr eingekehrt, der an diesem Tag mit Holzmessarbeiten in dieser Gegend beschäftigt gewesen war. Was sich dort ereignete, schilderte Mayr in einem Brief an seine Frau Regina vom 15. November 1939. Mayr schrieb diesen Brief bereits während seiner Haft im Polizeigefangenenhaus in Innsbruck. Erst über Umwege gelangte der Brief in die Hände von Frau Regina Mayr.

„Meine liebe Regina!
Ich muss Dir einmal mitteilen, was in Windegg war. Der K.Leiter hat mich aufgefordert zu ihm zu sitzen und hat mich gefragt, warum ich die Kinder nicht zur HJ lasse. Ich sagte ihm, aus religiösen Gründen. Als er sagt, wissen Sie nicht, dass die Kinder Hitler-Kinder sind? Hitler Kinder? Das sind meine Kinder! Nein sagte er, das sind H.Kinder, worauf ich erwiderte, nein, das sind meine Kinder,… Auch sagte ich, sie haben einen anderen Herrgott als wir … dass der Führer uns Alpenländern bei der Machtübernahme versprochen hat, unsere Sitten und Bräuche u. unseren Glauben nicht zu berühren. Ich hab sehr laut gesprochen, dann hat er mich verhaften lassen…“ (2)

Dem ebenfalls im Gasthaus anwesenden Inspektor der Gendarmerie Johann Strasser wurde unmittelbar nach dem Wortwechsel zwischen Mayr und Primbs der Befehl erteilt, Mayr in Gewahrsam zu nehmen und „noch am selben Tag nach Innsbruck zur Gestapo einzuliefern“ (3). Primbs verließ daraufhin die Gaststätte. So war es Mayr nicht mehr möglich, sich – auf dringendes Anraten Strassers hin – beim Kreisleiter für den Vorfall zu entschuldigen. Mayr und Strasser machten sich daraufhin auf den Weg nach Tulfes, wo sie bereits der Postenkommandant der Gendarmerie erwartete. Dieser erklärte, er sei von Primbs beauftragt worden, Mayr zu übernehmen und ihn in Innsbruck der Gestapo zu übergeben (4).

Erst am Abend des nächsten Tages erfuhr Regina Mayr von der Festnahme ihres Gatten. Tage später erhielt sie eine erste Nachricht von ihrem Mann. Von diesem Zeitpunkt an war es ihr auch möglich, einmal wöchentlich mit ihm zu sprechen. Im November 1939 sprach sie schließlich bei Dr. Primbs vor, um eine baldige Freilassung ihres Gatten zu erwirken. Vom Kreisleiter erfuhr sie jedoch, dass die Überstellung Mayrs in ein Konzentrationslager bevorstünde, sie aber in drei Monaten erneut vorstellig werden sollte (5).

Mitte Dezember 1939 wurde Mayr in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt. Im Februar wollte Frau Mayr erneut bei Primbs wegen ihres Mannes vorsprechen. Auch diesmal war ihr kein Erfolg beschieden. Als kurze Zeit später bei einer Veranstaltung der örtlichen NSDAP, bei der auch der Kreisleiter anwesend war, wiederum für Karl Mayr interveniert wurde, versprach Primbs, Mayr werde in Kürze wieder zurückkommen. Der Kreisleiter besuchte daraufhin Frau Regina Mayr und stellte ihr die baldige Heimkehr ihres Gatten – in etwa zwei Wochen – in Aussicht. Karl Mayr kehrte aber nicht mehr zu seiner Familie zurück. Am 28. März 1940 erhielt Frau Mayr aus dem KZ-Sachsenhausen die telegraphische Mitteilung, dass ihr Mann am 27. März 1940 verstorben sei – Todesursache: Herzschwäche; die von der nationalsozialistischen Lagerleitung üblicherweise angegebene Todesursache (6).

Was war der Grund, warum Karl Mayr so früh aus dem Leben scheiden musste, seine Frau mit sieben Kindern allein zurücklassend? Der für die Inhaftierung des Forstwartes verantwortliche Kreisleiter schien sich als Herr über Leben und Tod zu verstehen. Er verstand sich als autoritäre Macht, der sich auch ein sehr persönlicher Bereich des Menschen – die Religion – unterzuordnen hatte. Was Hitler befahl, war unumstößlich, alles war der Person Hitlers unterzuordnen. Primbs war gar der Meinung, alle in Deutschland geborenen Kinder seien dem Führer zu „weihen“, seien ihm mit Haut und Haaren auszuliefern, um aus Deutschland das werden zu lassen, was Hitler vorschwebte. Primbs wollte mit allen Machtinstrumenten, die ihm zur Seite standen, Mayr gefügig machen.

In seiner Aussage nach der Befreiung Österreichs leugnete er allerdings die Tatsache, persönlich für die Einlieferung Mayrs in das Konzentrationslager Sachsenhausen verantwortlich gewesen zu sein. Nicht er, sondern andere Stellen – die Gendarmerie, die Gestapo – seien für die Internierung in das KZ verantwortlich gewesen – „Ich muss unbedingt darauf hinweisen, dass ich grundsätzlich gegen Denunziation und die sogenannte KZ Erziehung eingestellt war“ (7). Wer auch immer tatsächlich die Verantwortung für den Tod von Karl Mayr auf sich zu nehmen hat, Dr. Primbs war mit Sicherheit jener, der für die Festnahme und die Auslieferung Mayrs an die Gestapo verantwortlich war. Insofern muss ihm zutiefst eine Mitschuld am Tod Mayrs angelastet werden – eine persönliche Schuld, die nicht allein auf das verbrecherische, nationalsozialistische System, abgewälzt werden kann.

Mayr war als tiefgläubiger Katholik nicht bereit, seinen Kindern eine andere Erziehung zukommen zu lassen. Für Mayr war es undenkbar, vom katholischen Glauben abzugehen. Er erinnerte Primbs in diesem Zusammenhang an das Versprechen Adolf Hitlers, das dieser anlässlich der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich gegeben hatte, dass die Alpenländer ihre Sitten und Bräuche und ihren Glauben ohne Einschränkung beibehalten können. In einer Zeit jedoch, in der das eigenständige Denken gefährlich sein konnte, zog das Aussprechen möglicherweise regimefeindlicher Gedanken unweigerlich Verfolgung nach sich. Karl Mayr musste sterben, weil er nicht bereit war, seine Überzeugung zu leugnen. Er starb als aufrechter Mensch.

Quellenverzeichnis

  1. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes,
    Zl. 11.480, Niederschrift von Regina Mayr, geb. Kleiner, vom 8.8.1947
  2. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes,
    Zl. 11.480, Brief Karl Mayrs an seine Gattin vom 15.11.1939
  3. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes,
    Zl. 11.480, Aussage von Gendarmerie Inspektor Johann -Strasser
  4. ibidem
  5. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes,
    Zl. 11.480, Aussage von Regina Mayr
  6. ibidem
  7. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes,
    Zl. 11480, Protokoll der Befragung Max Primbs vom 4.8.1947
    (während seiner Haft im Innsbrucker Polizeigefangenenhaus)
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